Rückschau
Wiesen bei Nacht
25.07. — 30.09.2015
Artist
Michael Sailstorfer
Special information
Kuratiert von Johanna und Friedrich Gräfling
Michael Sailstorfer, „Wiesen bei Nacht“ ist die erste Einzelausstellung in dem noch jungen Kunstverein Wiesen e.V. An die 30 Werke, die eine Zeitspanne von 15 Jahren - und somit die ersten und die aktuellste Arbeit umfassen, geben einen Einblick in das Schaffen des in Berlin lebenden Bildhauers und reflektieren dessen konzeptuellen Ansatz inmitten der ländlichen Idylle, die den Kunstverein außerhalb gewohnter Kunstmetropolen, umgibt.
Genau dieses Idyll diente dem mittlerweile international sehr geschätzten Künstler oftmals als Kulisse: Aufgewachsen im niederbayrischen Velden, entstanden viele seiner ersten Arbeiten im ländlichen Raum. Gründe hierfür waren damals noch ein Mangel an Ausstellungsmöglichkeiten sowie finanzielle Gegebenheiten. Heute treibt ihn vor allem die anhaltende Verbundenheit zur Natur und Abgeschiedenheit in einen solchen Kontext.
In diesem Zuge entstand das wiederkehrende Schlüsselwerk der Ausstellung „Wiesen bei Nacht“ - die neuste und erstmalig präsentierte Arbeit „Tränen“, 2015. Im Frühjahr 2015 wurde hierfür in der Gemeinde Wiesen ein Einfamilienhaus unter der Last dreier Stahltränen zum Einsturz gebracht. Ein vermeidlich brutaler Akt der durch die stille, idyllische Umgebung romantisiert wird. Der Prozess resultiert in einer skulpturalen, photographischen und filmischen Arbeit, die sich vom Außenraum über die drei Stockwerke des Kunstvereins erstrecken.
Gegenüber der 8-minütige Videoprojektion der Arbeit „Tränen“, 2015 stehen zwei sehr frühe Arbeiten Sailstorfers, welche ebenfalls Brutalität mit Romantik und Humor konfrontieren. So säuberte der Künstler für „Waldputz“ 2000, einen 5-Meter-umfassenden Kubus mitten im Wald oder schoss eine leuchtende, alltägliche Straßenlaterne von dem Dachgepäckständer seines damaligen Autos zu einer „Sternschnuppe“.
Ähnlich deplatziert wie sich die Gegebenheiten in den Arbeiten Michael Saisltorfers anfühlen, erscheint die Architektur in dem sich in Restaurierung befindenden, fast 1000 Jahre alten Schloss Wiesen. In unmittelbarer Nähe treffen Stile von Barock zu Früh-und Spätrenaissance mit derzeitigen Werkzeugen und Materialien aufeinander.
Die sich dadurch ständig verändernde Architektur bietet nicht nur eine interessante Kulisse, sondern dient auch aktiv als Requisite. So wird das Video „3ster mit Ausblick“ in dem sich eine Holzhütte im eigenen Ofen verfeuert,auf in der Ecke stehenden Korksäcken platziert. Der provisorisch mit Spanplatten ausgelegte Boden im zweiten Obergeschoss funktioniert als idealer Untergrund für den „Reaktor“ . Die Schwingungen, des ohnehin losen Bodens werden durch das in einen Betonklotz integrierte Mikrofon aufgegriffen und als ohrenbetäubendes Geräusch durch das gesamte Schloss verteilt.
Auch hier unterstützt die Architektur Sailstorfers Idee von Skulptur: Viele seiner Arbeiten erschließen den Raum nicht nur visuell, sondern sind durch andere Sinne wie Hören oder Riechen, fernab der eigentlichen Arbeit präsent. Die teilweise nicht vorhandenen Böden der einzelnen Geschosse potenzieren Arbeiten wie Andy Warhol trägt Parfum. So durchflutet ein beizender Zitronenduft vom Eingang ausgehend das gesamte Gebäude und somit die ganze Ausstellung. Ebenso fühlt man bereits einige Stockwerke tiefer den penetranten Geruch von Gummi. Folgt man diesem, gelangt man in einen beklemmenden Raum voller großer, schwarzer „Wolken“, zusammengesetzt aus prall-gefüllten Traktor –und Autoschläuchen.
„Wiesen bei Nacht“ bildet eine Symbiose aus Kunst und Architektur, verknüpft Arbeiten, die im ländlichen Raum entstanden sind mit eben dieser Umgebung und verbindet dadurch den Innenraum des Kunstvereins mit dessen Umgebung. So gliedern sich Pulheim gräbt, projiziert an die unverputzte Wand oder auch die 12-teilige Fotoserie „Tränen“, 2015, vor der Aussicht auf grüne Hügel und Wälder gekonnt in das Umfeld von Wiesen ein. Eingehend auf diese Gegebenheiten und die rohen Umstände der Ausstellungsräume , spielen die Arbeiten Sailstorfers gewohnt mit Begrifflichkeiten und Habitus der Besucher. Ein Föhn vor einem Mikrofon verbreitet nichts als heiße Luft, Blitzableiter werden zu Kleiderständern– der Gebrauchsgegenstand zweckentfremdet, der Begriff von Skulptur ausgereizt.
Der Kunstverein Wiesen dankt Michael Sailstorfer, den Kuratoren Friedrich Gräfling und Johanna Stemmler, Bürgermeister Willhelm Fleckenstein für seine tatkräftige Unterstützung, Johann König, privaten und öffentlichen Leihgebern, der Cultural Avenue GmbH für die Organisation/Durchführung und allen Mitgliedern.